Impressionismus: Modern sehen, spontan malen

Impressionismus: Modern sehen, spontan malen
Impressionismus: Modern sehen, spontan malen
 
Nennen Sie es einfach »Impression - Sonnenaufgang««, antwortete Claude Monet, als er nach dem Titel seines Bildes, einer im Spiel von Licht und dunstiger Atmosphäre kaum mehr erkennbaren Hafenansicht gefragt wurde. Er zeigte sie 1874 in Paris auf der ersten Ausstellung der Künstlervereinigung »Société anonyme coopérative des artistes peintres, scuplteurs, graveurs et lithographes«, zu deren Gründern er gehörte. Der Kritiker Louis Leroy griff den Titel auf und machte daraus den Spottnamen »Impressionisten« für alle jene Künstler, die sich mit der selbst organisierten Bilderschau gegen ihren wiederholten Ausschluss von den offiziellen Pariser Kunstausstellungen, den Salons, auflehnten.
 
Dieser ungewöhnlichen Eigeninitiative folgten sieben weitere »Impressionisten-Ausstellungen«. Ihr Beispiel sollte Schule machen: Von nun an setzten sich neue, avantgardistische Kunstrichtungen maßgeblich außerhalb der offiziellen und akademischen Institutionen durch - in von Künstlern selbst organisierten »Salons des Indépendants«, in »Herbstsalons« und Ausstellungen der Sezessionen, in Künstlercafés und Galerieräumen engagierter Kunsthändler. Die Zusammensetzung der impressionistischen Ausstellungsgemeinschaft wechselte von Jahr zu Jahr. Viele der insgesamt 55 Mitglieder sind heute fast vergessen; berühmte Initiatoren der Ausstellungen - Monet, Auguste Renoir und Alfred Sisley - nahmen nur wenige Male teil. Regelmäßig zeigten Camille Pissarro und Edgar Degas, die beiden künstlerisch unterschiedlichsten Impressionisten, ihre Werke; mehrfach beteiligten sich auch Armand Guillaumin, Gustave Caillebotte und Berthe Morisot. Paul Cézanne stellte nur 1874 und 1877 zusammen mit den Impressionisten aus; Paul Gauguin und die Amerikanerin Mary Cassatt stießen 1879 und 1880 hinzu. Im Zentrum der letzten Ausstellung 1886 standen bereits die neoimpressionistischen Werke von Georges Seurat und Paul Signac.
 
Édouard Manet nahm an keiner der acht Ausstellungen teil, weil er sich allen Widerständen zum Trotz im Salon durchsetzen wollte. Dennoch wurde er von der Presse und den anderen Malern als »Kopf« der neuen antiakademischen Bewegung angesehen. Durch zwei Skandalbilder, das »Frühstück im Grünen« im »Salon der Zurückgewiesenen« von 1863 und die »Olympia« im Salon von 1865, hatte Manet den Realisten Gustave Courbet in der Rolle des wichtigsten Herausforderers all jener Kritiker abgelöst, welche die veralteten akademischen Kunstnormen verfochten. Radikaler noch als Courbet verwandelte er traditionelle Bildformeln in aufreizend zeitgemäße Bilder des modernen Lebens, deren Mangel an moralisierenden Untertönen und deren kühne Malweise Publikum und Presse gleichermaßen schockierten.
 
Manet und Degas, die sich um 1860 im Louvre beim Kopieren der Werke alter Meister kennen lernten, hatten zuvor in den Ateliers bekannter und offiziell geschätzter Maler studiert. Monet, Renoir, Sisley und der schon 1870 im Deutsch-Französischen Krieg gefallene Frédéric Bazille besuchten ab 1862 das Atelier des liberalen Salonmalers Charles Gleyre, beschlossen jedoch schon 1864, sich von nun an durch das »Studium vor der Natur« weiterzubilden. Cézanne war Autodidakt und besuchte nur gelegentlich gemeinsam mit Pissarro, Guillaumin und Monet die private »Académie Suisse«, wo sie ohne Anleitung eines Lehrers frei nach dem lebenden Modell arbeiten konnten. Die Maler um Manet trafen sich im Café Guerbois, später im Café Nouvelles Athènes, wo sie mit befreundeten Schriftstellern und Kritikern wie Charles Baudelaire, Émile Zola, Louis-Edmond Duranty und Théodore Duret ihre künstlerischen Ansichten diskutierten.
 
Die Impressionisten bildeten keine einheitliche Malerschule und formulierten nie ein gemeinsames Programm. Trotz ihrer unterschiedlichen Ausbildungswege wandten sie sich vor allem gegen die von der Akademie und der »École des Beaux-Arts« geforderte Idealisierung der Realität im Bild und gegen die dort noch immer behauptete Vorrangstellung der Linie vor der Farbe. Sie schätzten die intensive Farbigkeit der Werke von Tizian, Veronese und Delacroix, die weiche, sichtbare Pinselführung und den vitalen Realismus bei Velázquez und Frans Hals. Ihre direkten künstlerischen Wurzeln hatten sie im betont antiakademischen Realismus Courbets und in der Freilichtmalerei der Schule von Barbizon.
 
Wie diese lehnten sie das Malen von Historienbildern, von religiösen, mythologischen und literarisch inspirierten Szenen ab und konzentrierten sich auf zeitgenössische Motive. Die Vorliebe der Realisten für den Provinz- und Arbeitsalltag teilten die Impressionisten allerdings nicht. Sie erschlossen neue, moderne Themenbereiche: Manet, Degas, Caillebotte und Renoir, manchmal auch Monet und Morisot, fanden ihre Bildthemen im Großstadtleben von Paris, das durch die gewaltigen Umbaumaßnahmen des Zweiten Kaiserreichs in eine moderne Metropole verwandelt wurde. Sie zeigten die neu entstandenen, betriebsamen Boulevards, die lichtdurchfluteten Parkanlagen und Bahnhöfe, die lebhafte Welt der Pferderennen, der Konzerte und der Tanzlokale auf dem Montmartre, die Wochenendvergnügungen der Pariser Bevölkerung mit ihren Picknicks, Badeplätzen und Bootspartien. Manet, Degas und Caillebotte - elegante und großbürgerliche Dandys - nahmen die Rolle des »Flaneurs« ein, des allgegenwärtigen und aufmerksamen, aber distanzierten Beobachters. Bei aller Faszination für das moderne, dynamische Leben zeigen sie in ihren Gemälden oft auch dessen Leere und Beziehungslosigkeit. Renoirs charmante Bilder hingegen vermitteln die lebensfrohe Stimmung kleinbürgerlicher Idyllen.
 
Frühe Werke der Impressionisten zeigen häufig noch eine am Vorbild der niederländischen und spanischen Meister oder an Courbet orientierte, durch Firnisse gedämpfte Brauntonigkeit. Von etwa 1870 an verwendeten die Maler jedoch meist helle, kräftige Farbtöne und trugen sie mit freiem, lockerem Pinselstrich ohne vorbereitende Konturen auf. Farbflächen und -striche stehen in oft unvermittelten Kontrasten nebeneinander. Damit verzichteten die Maler bewusst auf das sanft abgestufte, die Hauptmotive betonende Hell-Dunkel und die glatte, »vollendete« Oberfläche akademischer Werke. Ihre aus der Skizze und der Freilichtstudie übernommenen Stilmittel signalisierten die direkte Umsetzung des wahrgenommenen Motivs ins Bild. Angeregt auch durch japanische Farbholzschnitte und durch schnappschussartige Fotografien, zeigen viele impressionistische Großstadtbilder die Motive aus verblüffenden Blickwinkeln, schneiden sie jäh durch die Bildränder ab oder überlagern sie kühn miteinander. Solch ungewöhnliche Kompositionen vermitteln den Eindruck, der Maler habe als Augenzeuge einen zufälligen, flüchtigen Ausschnitt der Realität unmittelbar festgehalten; der Eindruck des Zufälligen ist jedoch oft das Resultat genau geplanter Inszenierung und kontrollierter Arbeit.
 
Während des Deutsch-Französischen Kriegs von 1870/71 und der Pariser Kommune löste sich die Gruppe um Manet auf. Fast alle Maler wurden zum Kriegsdienst eingezogen. Monet und Pissarro emigrierten nach London, wo sie in den Bildern von John Constable und William Turner impressionistische Prinzipien vorweggenommen fanden. Erst nach 1871 trafen sich die Künstler wieder. Seine Blütezeit erlebte der Impressionismus in den Siebzigerjahren vor allem in den kleinen Orten rund um Paris, wo die Maler oft gemeinsam vor demselben Motiv im Freien arbeiteten. Monet lebte in Argenteuil, wo ihn Renoir, Sisley und Manet besuchten; Pissarro, Guillaumin und Cézanne zogen nach Pontoise beziehungsweise in das nahe gelegene Künstlerdorf Auvers-sur-Oise.
 
Das Spiel des natürlichen Lichts auf den Oberflächen der Dinge und die vereinheitlichende atmosphärische Stimmung wurden zu zentralen Motiven der impressionistischen Landschaftsmalerei. Den Impressionisten ging es nicht in erster Linie darum, eine Landschaft in ihren Einzelheiten zu beschreiben, sondern darum, die Gesamtwirkung einer Landschaft, die vom Anblick eines Motivs ausgelösten, rein optischen Sinneseindrücke, die »Impressionen«, festzuhalten. Hierzu lösten die Maler die Farben der Gegenstände in viele leuchtende Nuancen, die Umrisse in nebeneinander gesetzte Striche auf. Ihre genauen Beobachtungen der eigenen Licht- und Farbwahrnehmung in der Natur wurden durch Erkenntnisse der Farb- und Wahrnehmungslehre bestärkt und erweitert. Forscher wie Eugène Chevreul und Hermann von Helmholtz hatten in ihren populären Schriften unter anderem Effekte wie den Simultankontrast beschrieben: Er besagt, dass das Auge bei heller Beleuchtung in einer Farbe gleichzeitig auch ihren komplementären, also im Farbkreis entgegengesetzten Ton als optischen Eindruck empfängt. Komplementärfarben setzten die Impressionisten etwa in ihren charakteristischen farbigen Schatten bewusst ein. Die Flüchtigkeit der Naturerscheinungen und der eigenen Wahrnehmungen fingen sie durch die schnelle, skizzenhafte Pinselschrift und einen Farbauftrag »alla prima«, ganz aus der Farbe heraus, ein.
 
Unverbrauchtes, naives Sehen sollte von den festgefahrenen Traditionen des Betrachtens und Malens befreien. Monets Ideal war es, so einfach zu malen »wie ein Vogel singt«. Der Malvorgang sollte möglichst spontan sein und die Impressionen instinktiv festhalten, bevor die erkennende und denkende Wahrnehmung einsetzt. Von allen Impressionisten verfolgte Monet das Einfangen eines Augenblicks im Bild am konsequentesten. Er malte den Dampf der Lokomotiven im Bahnhof Saint-Lazare und vom Wind bewegtes, in Gewässern gespiegeltes Laub. In seinen Serienbildern der späten Achtziger- und der Neunzigerjahre hielt er dasselbe Motiv in verschiedenen Beleuchtungsmomenten fest und löste alles Sichtbare in vibrierende Farbreflexe auf. Auch wenn alle Impressionisten Bilderzählungen oder moralische Botschaften vermieden, waren ihnen die Motive keineswegs gleichgültig. Eine Landschaft oder die Welt der Großstadt war nun ebenso darstellungswürdig wie ein Mensch, mit einem Stillleben konnte man die Kunst revolutionieren.
 
Bis in die Neunzigerjahre lehnte die breite Öffentlichkeit den Impressionismus ab und verhöhnte ihn oft als unfertige Schmiererei einiger augenkranker Künstler. Größter Wertschätzung erfreuten sich nach wie vor süßlich-erotische Frauenakte von Salonkünstlern wie Alexandre Cabanel und William Bouguereau. Doch durch die jahrzehntelange künstlerische Opposition gegen die akademische Kunstdoktrin und ihre Vertreter gab es in Paris eine wachsende Zahl aufgeschlossener Kritiker und Schriftsteller, die Manet und die Impressionisten verteidigten, und einige mutige Sammler und Händler, die sie unterstützten. In den späten Achtzigerjahren rief das Vorbild des französischen Impressionismus schließlich in ganz Europa und Nordamerika vergleichbare künstlerische Erscheinungen hervor.
 
Ein Mitstreiter der ersten Stunde war der in London lebende Amerikaner James Abott McNeill Whistler. Sein »Mädchen in Weiß« hatte sich schon im Pariser »Salon der Zurückgewiesenen« 1863 den Skandalerfolg mit Manets »Frühstück im Grünen« geteilt. 1886 gründeten jüngere englische Maler um George Clausen und Philip Wilson Steer die unabhängige Künstlervereinigung »New English Art Club«, um ihre impressionistische Freilichtmalerei gegen die von der »Royal Academy« bevorzugte anekdotische und detailverliebte viktorianische Kunst durchzusetzen. In den USA feierte der französische Impressionismus ebenfalls schon 1886 in einer Ausstellung des Pariser Kunsthändlers Paul Durand-Ruel Erfolge.
 
In Deutschland prägte eine einflussreiche eigene Tradition der Freilichtmalerei, die von Johann Georg Dillis und Karl Blechen zu Adolph Menzel reicht, die Anfänge des Impressionismus. Nach seinem realistischen, sozialkritischen Frühwerk weisen die Bilder von Max Liebermann in den Neunzigerjahren impressionistische Stilmerkmale auf. Auch bei Fritz von Uhde, Wilhelm Trübner, Max Slevogt und Lovis Corinth zeigt sich um 1900 eine langsame, oft nur teilweise vollzogene Lösung vom Realismus sowie die Aufnahme und eigenständige Weiterentwicklung impressionistischer Stilmittel wie der hellen Palette und des skizzenhaften Pinselstrichs. Farbexperimente standen jedoch bei den deutschen Impressionisten nur selten im Vordergrund; ihr leichter Farbauftrag blieb den Gegenständen verhaftet und gab häufig sogar erzählerische Motive wieder. Auch in Deutschland mussten sich die Impressionisten außerhalb der Akademien durchsetzen, die durch Historienmaler wie Anton von Werner beherrscht wurden. So spaltete sich von der Münchner Akademie bereits 1892 die freie Künstlervereinigung »Münchner Secession« ab; im gleichen Jahr bildete sich, als Vorläufer der »Berliner Secession«, die »Gruppe der Elf« in der deutschen Hauptstadt.
 
Dr. Friederike Kitschen
 
 
Europäische Kunst im 19. Jahrhundert, Band 2: Cachin, Françoise: 1850—1905. Realismus, Impressionismus, Jugendstil. Aus dem Französischen. Freiburg im Breisgau u. a. 1990—91.
 Hofmann, Werner: Das irdische Paradies. Motive und Ideen des 19. Jahrhunderts. München 31991.
 
Malerei des Impressionismus. 1860—1920, herausgegeben von Ingo F. Walther. 2 Bände. Neudruck Köln 1996.
 Rewald, John: Die Geschichte des Impressionismus. Schicksal und Werk der Maler einer großen Epoche der Kunst. Aus dem Französischen. Köln 61995.

Universal-Lexikon. 2012.

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